GenerationenWohnen Burgdorf (BE)
Experimentelles Wohnen in Burgdorf

© Age-Stiftung, Foto: Ursula Meisser
In Kürze
«Gebaut für jede Lebenssituation»: Die vier Häuser mit ihren 94 Wohnungen und dem attraktiven Aussenraum von GeWo Burgdorf richten sich an Junge und Ältere, an Einzelpersonen und Familien, an Menschen mit spezifischen Bedürfnissen und sowohl an Wenig- wie an Besserverdienende. Mit einer bewegten Entwicklungsgeschichte verfügen die Beteiligten heute über einen reichen Schatz an Erfahrungen. Und dies im Positiven: Aus einer äusserst heterogenen Mieterschaft entwickelte sich eine sorgende Gemeinschaft, deren Mitglieder sich umeinander kümmern, neu Hinzugezogene integrieren, Konflikte eigenständig lösen und sich für eine inklusive Wohn- und Lebensform engagieren. So veranschaulicht das Beispiel von GeWo, dass Selbstorganisation mit den entsprechenden Methoden und einer klaren Haltung selbst bei immer wieder sich ändernden und erschwerten Umständen gelingen kann. Solche Prozesse brauchen Zeit. Dann aber mag eine lebendige Nachbarschaft gelingen, in der auch Menschen mit Einschränkungen einen aktiven Teil des Ganzen bilden.
Vision & Ziele
Das Ziel von GeWo Burgdorf lag darin, neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens zu entwickeln und umzusetzen, welche allen Bewohnenden sowohl Autonomie als auch Hilfe im Alltag und in Phasen von erhöhtem Unterstützungsbedarf bieten. Zur Vision der Genossenschaft gehört es, ein aktives Miteinander und gutes Nebeneinander im Sozialraum zu verwirklichen. Damit will auch ein Beitrag für die gestärkte Teilhabe und Teilgabe aller, einschliesslich von Menschen im Alter und mit einer Behinderung, geleistet werden.
Hintergrund
Die Überbauung strebte von Beginn an nach experimentellen Ansätzen im gemeinsamen Wohnen. Der Weg von der Ursprungsidee bis zum Bau der Häuser, dem Einzug der Mietenden und der Gemeinschaft von heute war allerdings ein steiniger. Unter anderem trat die Gründergenossenschaft im laufenden Prozess zurück und musste die Siedlungseigentümerin, die Gebäudeversicherung Bern (GVB), neue Lösungen finden. Offen für das Experiment und pragmatisch im Vorgehen, beauftragte sie eine regionale Immobilienverwaltung mit der Vermietung, gründete Ende 2018 (kurz vor dem Bezug der ersten Wohnungen) den Vorstand der künftigen Betriebsgenossenschaft und beauftragte die Gemeinwesenarbeit von Pro Senectute Bern mit der Entwicklung einer Siedlungsorganisation. Die Vielzahl der Beteiligten und die unterschiedlichen Bedürfnisse unter der Bewohnerschaft bedeuteten eine kontinuierliche Herausforderung.
Good Practices
Dank professioneller Sozialraummoderation gelang der Wandel von einer heterogen zusammengesetzten, eher zufällig zusammenlebenden Mieterschaft zu einer Gemeinschaft, die im echten «Miteinander» ihren gemeinsamen Raum teilt.
- Teilhabe & Mitwirkung. Alle Mieterinnen und Mieter können sich in den verschiedenen betrieblichen Arbeitsgruppen (AG) und der GeWo Siedlungsorganisation einbringen. So organisieren sie die Gemeinschaftsräume in den vier Gebäuden, die Gartenarbeit, gelegentliches gemeinsames Kochen und geselliges Zusammenkommen. Die Auslagen dafür laufen über das Genossenschaftsbudget, das sich aus 3% des Nettomietzinsertrags ergibt. Die Gemeinwesenarbeit, die besonders zu Beginn eine unabdingbare Stütze war, hilft den AGs, ihre Ideen umzusetzen, und sie übernimmt administrative und koordinative Aufgaben. Der «ermächtigende» und prozessorientierte Ansatz der soziokulturellen Animation ermöglicht es auch Personen, die bislang kaum je nach ihren eigenen Vorstellungen gefragt worden sind, darin zu bestärken, ihre Bedürfnisse zu formulieren, ihre Talente einzubringen und sich in und für eine Gemeinschaft zu engagieren. Die Teilhabe und Mitwirkung umfasst insbesondere auch Menschen mit einer Behinderung. Regte sich zu Beginn noch Widerstand gegen die Vorstellung, dass eine Institution Wohnungen für Menschen mit einer Behinderungen mietet, sind sie heute im Alltagsgeschehen nicht mehr wegzudenken. Viele unter ihnen bringen sich aus eigener Initiative in den Siedlungsversammlungen ein und würden nicht mehr wegziehen wollen.
- Reziprozität. Dass Generationendurchmischung und Diversität unter den Bewohnenden einen Mehrwert an sich und die Chance für ein funktionierendes Tauschsystem bilden, kann als Vision und alltäglicher Einsatz innerhalb der GeWo beschrieben werden. Wie es die Haus-Charta ausdrückt, ist die soziale Interaktion essenziell für das Bestehen der GeWo. Zudem erklären sich alle Mietenden dazu bereit, wenn immer nötig, eine helfende Hand zu bieten. Nicht allen Mietenden war dieser Passus beim Einzug tatsächlich bewusst; vieles musste erst entdeckt, erprobt und erlebt werden. Aus zufälligen und moderierten Kontakten entstehen mit der Zeit tragende Beziehungen zwischen und unter den Bewohnenden mit ganz unterschiedlichen Biographien. Es wird Unterstützung im Alltag geleistet, und es werden Gemeinsamkeiten erlebt. Ein Zeichen der inkludierenden Haltung ist auch die Initiative der Bewohnenden, nach Kriegsausbruch eine geflüchtete, ukrainische Familie in die Mieterschaft aufzunehmen.
- Generationenverbindend. Das Zusammenleben verschiedener Generationen und Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu ermöglichen, bildete ein Kernanliegen von GeWo Burgdorf. Der Mix an kleinen und grösseren, hindernisfrei gebauten Wohnungen ist denn auch für eine altersdurchmischte Mieterschaft und ein Wohnen in allen Lebensphasen konzipiert. Der Aussenraum bietet Platz für spontane Begegnungen und für organisierte, gemeinsame Aktivitäten. Unter anderem lädt ein «Dorfplatz» zum Verweilen ein und betätigen sich Jung und Alt im Nutzgarten. Die Gemeinwesenarbeit unterstützt und fördert die altersgruppenspezifischen ebenso wie die verbindenden Aktivitäten und passt ihre Angebote den unterschiedlichen «Freizeiten» der Generationen an. Die einzelnen Bewohner und Bewohnerinnen werden ermutigt, ihre Interessen und Bedürfnisse zu formulieren, Missverständnisse zwischen den Generationen zu klären und Konflikte gemeinsam zu lösen.
Erfahrungen
Um vom ursprünglichen Konzept zum heutigen Zusammenhalt als einer Caring Community zu gelangen, brauchte es viel Engagement und Durchhaltevermögen. Entscheidend zum Gelingen des Projektes beigetragen haben die flexible Haltung der Eigentümerin GVB und die professionelle Sozialraummoderation seitens der mandatierten Pro Senectute Bern. In der Tat ist das Beispiel GeWo auch ein erfolgreiches Beispiel eines subjektfinanzierten Ansatzes im Behindertenbereich.
Eine zentrale Herausforderung lag darin, genossenschaftliche Prinzipien und Kernelemente einer Sorgenden Gemeinschaft in einem Umfeld zu entwickeln, in welchem solche Anliegen nicht bereits bekannt oder gegeben sind. Dazu war die geleistete Gemeinwesenarbeit mit ihrem ressourcenorientierten Ansatz unerlässlich. Entsprechend wichtig ist es, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen für eine solche Sozialraummoderation langfristig zu planen und zu sichern.
Ein pragmatisches und immer wieder an die konkreten Situationen angepasstes Vorgehen ist ebenfalls wichtig. Wie es die Moderatorin erfahren hat, gilt es, angesichts der vielfältigen und unterschiedlichen Bedürfnisse unter der Bewohnerschaft den kleinsten, gemeinsamen Nenner zu identifizieren und darauf aufzubauen. Schliesslich liegt ein Schlüssel zum Erfolg im steten Festhalten einer positiven Haltung. Das schon fast sture Vorleben einer freundlichen, offenen und konstruktiven Haltung - dies auch entgegen allerlei Widerstand- überzeugt und findet langfristig Nachahmer und Nachahmerinnen, welche selbst eine offene Haltung annehmen und auch in Konfliktfällen einvernehmliche Lösungen finden.
Webseite & Kontakt
Christa Schönenberger, Gemeinwesenarbeit, Pro Senectute Bern:
christa.schoenenberger@be.prosenectute.ch
Christina Stampfli, Projektverantwortliche Immobilien-Portfoliomanagement, GVB:
cstampfli@gvb.ch
Erfassungsdatum: 11.07.22