Adret Lancy (GE)

Evolutiver Wohnraum für Menschen im Alter

In Kürze

Der im Sommer 2020 eröffnete, generationenübergreifende Wohnkomplex L'Adret ist ein «Habitat évolutif pour senior·e·s» (evolutiver Wohnraum für Menschen im Alter), kurz HEPS. Strukturen mit dieser neuen Bezeichnung sind auf eine kontinuierliche Pflege und Betreuung älterer Menschen ausgerichtet, die unabhängig von der Entwicklung des Gesundheitszustands und der verbleibenden Kompetenzen der Betroffenen erbracht werden. Der Wohnkomplex L'Adret, der in Konzept und Ansatz der Vision Wohnen im Alter von CURAVIVA entspricht, ist die erste Struktur dieser Art in Genf.

Vision & Ziele

Die Bewohnerinnen und Bewohner von L'Adret, insbesondere die älteren Menschen, werden als Akteurinnen und Akteure ihres sozialen Lebens betrachtet. Die Vision von L’Adret orientiert sich insofern am Ansatz der Caring Communities, als die Struktur ein Umfeld bietet, das soziale Interaktionen fördert, sich jedoch im Hintergrund hält mit dem Ziel, den Seniorinnen und Senioren den nötigen Handlungsspielraum zu lassen, um selbstständig Aktivitäten zu organisieren und Sozialisierungsräume zu gestalten, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Die Behörden der Stadt Lancy wünschten sich ein Projekt, das den Bedürfnissen verschiedener Bevölkerungsgruppen und Generationen gerecht wird, darunter Kinder (Kinderhort), Studierende (Bewohnende, die im Tausch gegen monatlich fünf Stunden aktive Präsenz eine Mietreduktion erhalten) und frisch pensionierte oder bereits ältere Seniorinnen und Senioren, die am Gemeinschaftsleben teilhaben, ihre Kompetenzen einbringen und in den eigenen vier Wänden leben wollen.

Hintergrund

In den zwei L-förmig angelegten Gebäuden beherbergt L’Adret einerseits Mietende – Seniorinnen und Senioren, Studierende und ältere Erwachsene mit kognitiver Beeinträchtigung –, andererseits einen Kinderhort sowie verschiedene Partner, die Dienstleistungen vor Ort anbieten, u.a. ein Restaurant, ein Gesundheitszentrum, eine private Spitex-Organisation sowie eine Physiotherapie-Praxis. Das Miteinander der Bewohnenden und der Partner gestaltet sich gemäss der Charta «Vivre ensemble à l'Adret», die sämtliche Beteiligten anregt, die Struktur aktiv lebendig zu gestalten. Die Charta geht davon aus, dass alle Mietenden über Kompetenzen und Ressourcen verfügen, die sie an ihr Umfeld und ihre Nachbarschaft weitergeben können. Ein Koordinationsbüro unterstützt sie dabei.

Das Besondere an den Strukturen von L’Adret ist, dass sie sich den Entwicklungen des Gesundheitszustands und der vorhandenen Kompetenzen der älteren Menschen anpassen und somit jederzeit zugänglich sind. Die Anpassung erfolgt über Partnerschaften mit verschiedenen Leistungserbringern, insbesondere über das Gesundheitszentrum und die Spitex-Organisation, sowie dank einer Einrichtung für vorübergehende Pflege und eines Überwachungs- und Sicherheitssystems mit Notfallintervention.

Good Practices

  • Teilhabe & Mitwirkung. Die partizipative Dimension wird durch die «Charte du vivre ensemble» (Charta für das Zusammenleben) garantiert. Beim «Casting» der Mietenden ist ihre Bereitschaft für ein Miteinander und einen gegenseitigen Austausch entscheidend. Die Wohnungen sind bewusst klein gehalten. Gegenstände, die aus der alten Wohnung mitgenommen werden, jedoch in der neuen Wohnung keinen Platz finden, werden an anderer Stelle im Haus platziert und tragen dazu bei, die Gemeinschaftsräume lebendig zu gestalten: Pflanzen und Liegestühle kommen auf die Terrasse, Bücher in die Gemeinschaftsbibliothek, Fahrräder in den Fitnessbereich, das Klavier in den Spielraum usw. Verschiedene Begegnungsräume sorgen dafür, dass man sich trifft, oft auch rein zufällig, so etwa bei den Briefkästen, in der Waschküche, in der Bibliothek, im Fernsehraum, an den Anschlagbrettern sowie im Musikzimmer oder im Yoga- oder Bastelraum.
  • Formelle & informelle Hilfe. Mit der Zeit bildet sich ein Netzwerk aus formeller und informeller Hilfe heraus. Während die Fachkräfte des Sozial- und Gesundheitswesens professionelle Dienstleistungen erbringen, knüpfen die Mietenden informelle Kontakte unter sich, so dass jede benachbarte Person zu einer informellen Hilfsperson wird. Die Seniorinnen und Senioren unterstützen sich gegenseitig, leisten sich kleine Nachbarschaftsdienste, leeren etwa während der Ferien den Briefkasten oder giessen die Pflanzen. Für eine tragfähige Nachbarschaft vor Ort ist es wichtig, dass diese Kontakte frühzeitig und kontinuierlich hergestellt und gestärkt werden. In der Regel erfolgt die Hilfe spontan und bedarfsgemäss. Die älteren Menschen können offiziell um die Hilfe eines Studierenden bitten, z.B. über das Anschlagbrett. Oft kommen diese Leistungen aber spontan zustande, etwa nach einer Begegnung im Aufzug oder an einer gemeinsamen Veranstaltung. Für die Kommunikation mit den Studierenden wurde eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Unter sich kommunizieren die Seniorinnen und Senioren über eine eigene WhatsApp-Gruppe oder nutzen die Anschlagbretter.
  • Koordination & Vernetzung. Die Koordination erfolgt über ein kleines Team, bestehend aus zwei Rezeptionist:innen (eine Stelle zu 100%), zwei sozialen Hauswarten (eine Stelle zu 100%), zwei Fachpersonen Betreuung (eine Stelle zu 100%) sowie der zuständigen Koordinatorin. Die Rezeption dient gleichzeitig auch als Koordinationsbüro und steht bei Bedarf zur Verfügung. Das Koordinationsteam tritt jedoch bewusst nicht als Vermittler auf, wenn dies nicht erforderlich ist. Es nimmt vielmehr eine moderierende Rolle wahr, indem es die Mietenden dazu anregt, direkt miteinander zu interagieren und sich gegenseitig zu unterstützen. Eine der Kernaufgaben des Koordinationsteams ist es, den Gemeinschaftssinn des Lebensraums zu fördern und aufrechtzuerhalten: Lebensentwürfe, Ideen und Projekte begleiten, unterstützend eingreifen, das Bedürfnis nach Ruhe bestimmter Menschen respektieren und gleichzeitig darauf achten, dass sie sich nicht isolieren: Die Aufgaben des Koordinationsteams sind vielfältig und erfordern ein hohes Mass an Polyvalenz. Das Team gewährleistet eine diskrete soziale Einbindung.

Erfahrungen

Die ersten Rückmeldungen sind positiv, sowohl seitens der Mietenden als auch seitens der Partner. Die meisten Anpassungen, die noch erfolgen, sind organisatorischer Natur. Die gegenseitige Unterstützung unter den Bewohnenden erfolgt oft spontan und direkt. Nicht selten erfährt das Koordinationsteam nur zufällig von der Durchführung von Projekten oder Veranstaltungen innerhalb der Struktur: ein Beweis dafür, dass das Miteinander durch das Engagement und die Beteiligung aller Mietenden und Partner auf natürliche Weise funktioniert und aufrechterhalten wird. Verbesserungspotenzial besteht bei der Interaktion zwischen Studierenden und Partnern, die sich nach dem ersten Jahr noch nicht sehr gut kennen.

Weiterführende Informationen

Anne-Marie Nicole. 2021. Genf. Un nouvel habitat inédit pour seniors. Fachzeitschrift CURAVIVA 3/21, 30, französische Ausgabe.

Anne-Marie Nicole. 2020. Damit betagte Menschen möglichst lange autonom leben können, Fachzeitschrift CURAVIVA 9/20, 11-15.

Webseite & Kontakt

 

http://www.hageslancy.ch
contactheps@hageslancy.ch

 


Erfassungsdatum: 26.11.21