Qualität und Qualitätssicherung
Einleitung Qualität und Qualitätssicherung
Assessmentinstrumente sind in der Betreuung und Pflege wichtige Instrumente zur standardisierten Beurteilung von Qualität. Für das demenzspezifische Assessment in der Langzeitpflege hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Rahmen der nationalen Demenzstrategie 2014–2019 ein Handbuch für Fachpersonen herausgegeben. Dieses zeigt einerseits auf, welche Depressions-, Delir- und BPSD-spezifische Merkmale mit den Bedarfsabklärungsinstrumenten zu überprüfen sind. Andererseits werden zusätzliche Instrumente für das Fokus-Assessment beschrieben, welches es braucht, um einen Verdacht zu bestätigen oder auszuschliessen.
Zudem wurden im Projekt 3.5 der Nationalen Demenzstrategie 2014–2019 Empfehlungen für die Begleitung, Betreuung, Pflege und Behandlung von Personen mit Demenz in Langzeitinstitutionen erarbeitet.
CURAVIVA hat im Auftrag des BAG die Meinung von Praxisvertreterinnen und -vertretern aus Langzeitpflegeinstitutionen eingeholt, um fördernde und hindernde Faktoren für die Umsetzung der Empfehlungen in der Praxis besser zu erkennen. Gemeinsam wurden Möglichkeiten erarbeitet, wie die Empfehlungen den Weg in die Institutionen finden und nachhaltig umgesetzt werden können.
Bericht «DemCare: Verbreitung der Empfehlungen für Langzeitinstitutionen» | 2024
Nachfolgend finden sich weitere Instrumente, die sich für das Erfassen der Qualität im Kontext von Demenz nutzen bzw. anpassen lassen. Gerade das Instrument Dementia Care Mapping, das von Tom Kitwood und Kathleen Bredin unter dem Aspekt des personenzentrierten Ansatzes entwickelt wurde, lässt sich gut als Instrument zur Sicherstellung von Qualität in der Betreuung, Pflege und Begleitung für Menschen mit einer Demenzerkrankung einsetzen.
Das Konzept «Marte Meo» wurde entwickelt, um Familien von Kindern mit Beeinträchtigungen der sozialen oder psychischen Entwicklung gezielt im Grenzbereich zwischen ambulanter und stationärer Betreuung zu unterstützen. Dabei geht es darum, die eigenen Ressourcen zu erkennen und einzusetzen, um die Entwicklung der Fähigkeiten der Kinder zu erkennen und zu unterstützen. Dieses Konzept wird heute nicht nur in Institutionen für Menschen mit lebensbegleitenden geistigen und mehrfachen Behinderungen, sondern auch in der Begleitung, Unterstützung und Pflege von Menschen mit einer Demenzerkrankung eingesetzt.
Dementia Care Mapping (DCM)
Dementia Care Mapping (DCM) steht für das Abbilden der Pflege von Menschen mit Demenz (Mapping = Abbilden). Entwickelt wurde diese Methode von Tom Kitwood und Kathleen Bredin. Als ein Verfahren zur Beobachtung und Evaluation zielt es auf die Verbesserung der Pflege von Menschen mit einer Demenzerkrankung. DCM wurzelt im personenzentrierten Ansatz, welcher das Ziel verfolgt, das Personsein der Menschen mit Demenz zu erhalten und zu fördern. Beim DCM nehmen geschulte DCM-Beobachter am Leben von Menschen mit Demenz teil und versuchen, einen Tag lang «in ihren Schuhen zu gehen» und ihr Handeln und Befinden in der Einrichtung zu beschreiben (Müller-Hergl, 2003). Mittels Kodierungen werden die Beobachtungen strukturiert festgehalten. Davon ausgehend, werden die Beobachtungen zu Daten und Profilen verarbeitet und in qualitativen Aussagen verdichtet. Die beobachtende Person gibt sodann dem Betreuungsteam eine Rückmeldung und arbeitet sinnvollerweise zusammen mit ihm einen Handlungsplan aus. Die Umsetzung dieses Handlungsplans wird im Rahmen einer erneuten Evaluation besprochen.
H.I.L.DE. – Instrument zur Erfassung der Lebensqualität
H.I.L.DE., das Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen ist das Ergebnis einer sechsjährigen Forschungsarbeit am Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg unter der Gesamtverantwortung von Prof. Dr. Andreas Kruse. Ziel war es, ein Verfahren zu erarbeiten, das strukturierte und standardisierte Kriterien zur Beurteilung des subjektiven Befindens bzw. der empfundenen Lebensqualität von Menschen mit einer Demenzerkrankung zur Verfügung stellt. Mit diesem Instrument soll es möglich sein, Bedarfslücken in der Versorgung in stationären Einrichtungen zu schliessen. Dabei geht es um das Festlegen einer Begleitungs-, Betreuungs- und Pflegequalität, die sich an den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Menschen, der an Demenz erkrankt ist, orientiert.
Bedeutung des Instruments für den Pflegealltag
Das Instrument dient in dreifacher Hinsicht zur Qualitätssicherung:
- Sensibilisierung für Unterschiede zwischen zwei oder mehreren Personen im Erleben von Situationen und in den Reaktionen auf diese (intraindividuelle Unterschiede). Gefördert wird damit der Zugang zur Individualität des Erlebens und Verhaltens. Aber auch die Wahrnehmung der Pflege- und Betreuungspersonen für die Kompetenzen und Ressourcen der Menschen, die an Demenz erkrankt sind, wird unterstützt.
- Sensibilisierung der Pflege- und Betreuungspersonen im Hinblick auf den Einfluss, den ihr Handeln auf die emotionale Befindlichkeit der Menschen, die an Demenz erkrankt sind, hat.
- Verbesserung der Lebensqualität durch die Reflexion des eigenen Handelns der Pflege- und Betreuungspersonen und die dadurch verstärkte Orientierung an der aktuellen psychischen Situation des an Demenz erkrankten Menschen. Aber auch mit Blick auf das Pflege- und Betreuungspersonal, namentlich auf die subjektive Kontrollüberzeugung, und damit für die berufliche Zufriedenheit können sich positive Effekte zeigen.
Dimensionen der Lebensqualität
Inhaltlich gliedert sich das Instrument in Erfassungsbereiche, in denen sowohl umwelt- und personenbezogene Ressourcen als auch das individuelle Wohlbefinden und die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben als Merkmale erlebter Lebensqualität eingeschätzt, beobachtet oder erfragt werden:
A: Medizinische Versorgung und Schmerzerleben
B: Räumliche Umwelt
C: Aktivitäten
D: Soziales Bezugssystem
E: Emotionales Befinden und Lebenszufriedenheit
Weiterführende Literatur
Projektwebsite H.I.L.DE. - Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität Demenzkranker (2003-2009). Besucht am 22.02.2018.
Quality of Life Scale for Severe Dementia (QUALID)
Quality of Life Scale for Severe Dementia (QUALID) wurde von der Forschungsgruppe um Myron F. Weiner in den USA entwickelt und ist bereits mehrfach getestet worden. Die Skala besteht aus elf Items, die sowohl positive wie negative Dimensionen von Emotionen und psychischem Befinden abbilden.
QUALID beruht auf beobachtbaren Verhaltensmerkmalen und Emotionen, die von systematisch geschulten Beobachtern (z.B. Pflegenden, Sozialpädagogen) eingeschätzt werden können. Beobachtet werden negative Items wie: erscheint traurig, weint, erscheint unglücklich oder scheint Schmerzen zu haben (blickt beunruhigt, Grimassen, gefurchte oder heruntergezogene Augenbrauen) oder positive Items wie: hat Freude am Essen, hat Freude, berührt zu werden oder zu berühren, erscheint emotional gelassen und behaglich.
QUALID kann einmalig durchgeführt werden, Wiederholungen erscheinen jedoch empfehlenswert. Die Methode wurde bereits bei Evaluationen von Pflegeoasen angewendet, etwa bei ISGOS und Demenz Support Stuttgart. Eine Forschungsgruppe am Lehrstuhl für Gerontologische Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar setzt QUALID in einer zweijährigen Evaluationsstudie ein, um die Lebensqualität von Menschen mit schwerer Demenz in zwei Pflegeeinrichtungen zu erheben. In dieser Studie wurde die deutsche Übersetzung des QUALID-Bogens eingesetzt, die Prof. Pieper von der Universität Bamberg zur Verfügung stellte (siehe Brandenburg, Pflegeoasen, 2013).
Person-zentriert pflegen (VIPS-Modell)
Das VIPS-Modell von Dawn Brooker konkretisiert und interpretiert den Ansatz der person-zentrierten (personenzentrierten) Pflege nach Tom Kitwood neu und praxisorientiert. Es fasst den person-zentrierten Ansatz anhand vier zentraler Elemente wie folgt zusammen:
V = Value base: Wertebasis der Pflege und Betreuung, die den bedingungslosen Wert eines jeden menschlichen Lebens geltend macht, unabhängig vom Alter oder von der kognitiven Fähigkeit eines Menschen
I = Individualized: individualisierte Pflege und Betreuung, welche die Einzigartigkeit jedes Einzelnen anerkennt
P = Perspective: die Perspektive der Pflege und Betreuung, welche die Welt aus der Perspektive der Adressaten der pflegerischen, begleitenden und betreuerischen Bemühungen betrachten
S = Social environment: soziale Umgebung, die den psychischen Bedürfnissen von Menschen mit einer Demenz nachkommt
Das Instrumentarium dient vor allem dazu, die Organisation darin zu unterstützen, die relativen Stärken und Schwächen des eigenen Betriebes in Bezug auf die Begleitung der Menschen mit Demenz abzuschätzen und zu überprüfen. Für jedes Element werden sechs Schlüsselindikatoren beschrieben, mit denen sich die bestehende Pflegepraxis auf Person-zentriertheit überprüfen lässt. Auf dieser Grundlage lässt sich dann ein Aktionsplan zur Verbesserung der Pflege- und Betreuungsqualität erstellen. Um die eigene Praxis weiterentwickeln zu können, ist es hilfreich, die hierfür erforderlichen Unterlagen im Team zu erstellen.
Das VIPS-Instrument enthält eine ähnliche Methodik wie das DCM-Verfahren (Dementia Care Mapping).
Marte Meo nach Maria Aarts
Das Konzept Marte Meo wurde von der Holländerin Maria Aarts entwickelt und stammt ursprünglich aus der Beratung für Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen der sozialen oder psychischen Entwicklung. Der vom Lateinischen abgeleitete Name bedeutet sinngemäss, etwas «aus eigener Kraft» erreichen: «Die Idee war, Eltern ähnliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die sich auch die Fachkräfte angeeignet haben, um diese Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern» (Bünder, o.J.).
Methodisch arbeitet Marte Meo mit Bildern und Videoaufnahmen. Die Interaktionen aus dem Alltag der betroffenen Personen werden detailliert analysiert. Dabei werden die kleinsten Basiselemente der Kommunikation beachtet, die nötig sind, um einen Entwicklungsprozess zu ermöglichen.
Inzwischen wird Marte Meo gezielt auch in der Begleitung von Menschen mit einer Demenzerkrankung eingesetzt. In der Praxis hat sich vor allem eine Kombination zwischen der Validation und Marte Meo bewährt. Der Ansatz ist allerdings noch wenig verbreitet. Doch arbeiten auch in der Schweiz einige Institutionen im Schwerstbehindertenbereich wie auch in der Langzeitpflege und -betreuung mit dem Marte-Meo-Konzept.